Die Idee zu diesem Blog ist aus Zufall entstanden. Mit Freunden saß man in einer rotweinseligen Runde und plötzlich waren kratzende Strickhosen, verhunzte Poesiealben, furchtbare Haarschnitte und die Ignoranz der Banknachbarin ein Thema. Die Frage stellte sich schnell: Was hat einem in der Kindheit am allermeisten den Nerv geraubt? Vor allem macht es natürlich Freude, sich selbst in den Erlebnissen der anderen wiederzufinden.

Genau deshalb kommt jetzt der Blog ins Spiel. Wo kann man sich besser austauschen, als im Web? Wer sich bemüßigt fühlt, zu einzelnen Lebensabschnitten und Themenbereichen dieses Blogs was beizutragen oder nur zu kommentieren, ist herzlich eingeladen....
Viel Spass beim Mitschreiben und Lesen wünscht Raymond Schön
Samstag, 11. August 2007
Klamottenkrieg ohne Ende
Sag mir, was du anziehen musstest und ich sag dir, wieviel Freunde du hattest... Unerträglich war mir (Jg. 66 - Ostdeutschland) jahrelang das Fehlen jegliches Schuldgefühles seitens meiner Mutter, die mich exakt bis zu meinem 14. Lebensjahr zwang, die unmöglichsten Osthosen und Wolpryla-Hemden im Papageienlook überzustreifen - meistens wenn ich die Antworten meiner Liebesbriefe in der Schule erwartete. Da saß ich dann rum, unsichtbar hoffentlich für alle, weil versteckt in den dunklen Ecken der Schule, in kratzigen schwarzen Hosen, die mit dicken großen braunen Knöpfen zugemacht werden mußten. Niemand fand mich. Das Hemd herauszuhängen wagte ich mich nicht, da dessen schreiende Farbkombination lila-rot-blau-lila in Tateinheit mit dem schillernden Plasticstoff mich noch mehr in den Fokus der Meinungsführer in Sachen Mode in meiner Klasse gestellt hätten. Irgendwann ist aber jede Pause zu Ende: das helle Klassenzimmer hatte mich wieder. Aber - ich war zumeist nicht allein in dieser Monsterschau. Neben mir saß zuweilen ein unbescholtener Freund, der, unglücklicherweise aus christlichem Haus stammend, gleichfalls mit sittsam unmodernstem Stoff behangen wurde. Seine Hosen waren selbst 1978 immer noch fein säuberlich gebügelt, was ihn immer einige Mühe kostete, dies bis zur zweiten Stunde vergessen zu machen. Doch am nächsten Tag, welch Wunder mütterlicher Beharrlichkeit, war sie wieder da - die schneidige Bruchkante im Polyester-Baumwoll-Gemisch.
Wie kläglich sahen wir doch gegenüber den beneideten Klassenkameraden aus, die im Quartalsrhythmus ein Päckchen abgelegter Supermarktmode aus dem Westen Deutschlands bekamen. Das härteste: die Jeans waren nicht nur schön ausgewaschen, sondern auch mit herrlichen Gebrauchsspuren versehen, wie sie heute bereits in der Herstellung von flinken chinesischen Arbeiterinnen imitiert werden. Davon konnte ich nur träumen. Als in der Zone so eine Art Jeans aufkamen, bedeutete das für manche Mütter (eigentlich rede ich von meiner) ein Verrat an der Sache: des Sozialismus, des guten Geschmacks, der Sittsamkeit - was auch immer - ich bekam so ein Ding nicht! Das peinlichste, und davon konnte ich meine liebe Mutter bis heute nicht heilen, ist, dass sie nicht etwa wie jeder mit amerikanischen Slang aufgewachsene Halbwüchsige einfach Jeans pronouncierte, sondern in eigentümlich sächsischer Verballhornung gepaart mit Unfähigkeit fremdländige Konsonanten auszusprechen, beständig von "Schinns" sprach. Das bedeute, dass a) um zur Vermeidung weiterer Peinlichkeiten ich in Gegenwart von Freunden mit meiner Mutter nicht darüber diskutieren konnte und b) dass, wenn ich jemanden meine Verzweiflung demonstrieren wollte, ich meine Mutter nur zum Aussprechen dieses Unwortes verleiten mußte. Mein Gott, was wurde ich bedauert! Aber es änderte sich erst spät etwas. Zu diesem Kapitel des Kleiderkrieges (gekämpft wurde mit ungleichen Waffen - Macht gegen Ungehorsam, Taschengeldkürzung gegen Haut Coture) kam noch das absolut oberpeinliche Theater des Klamottenkaufes hinzu. Was man als Kleinkind bis zehn Jahre gerade so toleriert hat, nämlich das Muttern die Sachen in den Läden auswählte und einen zwang, vor allen Leuten die garantiert unmodischsten und lächerlichsten Verkleidungen anzuprobieren, wurde als adoleszierender so ziemlich zum Gang aufs Schafott. "Wir müssen mal wieder Sachen kaufen gehen" hieß es dann und eigentlich meinte sie dann 'in einer halben Stunde gehen wir los, putz nochmal die Schuhe!'.
Mit 14 Jahren hatte ich sie dann doch soweit - es mußte eine Jeans gekauft werden im Sondergeschäft, welches sich "Jumo-Exquisit" nannte. Das stand einerseits für "Jugendmode" und für exquisit überhöhte Preise, beides auf jeden Fall nicht für Qualität. Dort aber gab es nicht nur die Mitte der 1970er Jahre auftauchenden BOXER- und WISENTjeans, sondern auch jene irgendwie aus westlicher Produktion (Vietnam?) stammenden TEX-Jeans. Das eigentlich Überraschende daran war, dass diese entgegen aller sozialistischen Ästhtikdogmen auswaschbar waren. Oh oh! Was meine Mutter aber nicht wusste. Und ich auch nicht. Sagte ich zumindest. Aber ich habe sie schon bei Matscher gesehen und der hat damit in der Badewanne einen Tag rumgebracht und man konnte das gute Teil nicht mehr von einer LEVIS unterscheiden. Naja, von weitem jedenfalls nicht. Meine Mutter, deren linkes Ohr von meinem Generve bereits zerkaut erschien, wollte mir nun ein solches Gerät, welches ich vorsorglich in Erwartung pubertärer Wachstumsschübe eine Nummer zu groß auswählte, kaufen. Natürlich erging über die etwa 55jährige Jugendmodeverkäuferin die alles entscheidende Frage: "Wäscht sich denn diese Schinns auch nich aus!?" Oh Gott, mein Blue Denim, da lag er und von meinen dürren Pennälerwaden trennte ihn nur noch sechs Zehner Ostmark aus der kunstledernen Tasche meiner geliebten Mutter. "Nee", antwortete die Verkäuferin, "da hätten die schon einige widder zurückgebracht! So was gibbs bei uns nich!". Die gute Frau! Ich hätte ihren hellblauen Lockwellenhelm glatt küssen können! So errang ich dank der hervorragenden Selbstüberschätzung einer ostdeutschen Einzelhandelssklavin und ihrer miserablen Kenntnis der Taktiken des Klassenfeindes den ersten Sieg im Klamottenkrieg. Der nächste Tag war wohl der glücklichste in meinem Leben bis dahin. Ich trug sie mit hochrotem Gesicht durch das Schulhaus - meine erste Geliebte, einige Nummern zu groß für mich, aber alleine mir gehörend, ich gleicher unter gleichen. Endlich!

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Die Schiens(so wurde das bei uns ausgesprochen:P)-Kriegszeiten hab ich netterweise verpasst. Hab ja nur die letzten 9 Jahre unserer Republik miterlebt. Aber was solls. Es gab trotzdem genug Modesünden. Nur das man das im Allgemeinen in diesem Alter noch nicht wußte. So im Nachhinein, war ich als Kind von Althippies zu Ossizeiten aber trotzdem fast besser gekleidet, als kurz nach der Wende. ...Wurde man doch von pinkfarbenen Radlerhosen, geblümten Leggins und den sogenannten Bigshirts quasi überrollt.

Bis etwa '93 wurden die Dinge dann langsam besser, so mit dem Geschmack und der Kleidung und so....man wurde ja auch langsam erwachsen äh...älter...

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